Disqus ist eine vollständige Infrastruktur für Kommentare, die nicht nur auf Blogs funktioniert. Nach eigenen Angaben hat der Dienst 2 Milliarden Nutzer. Erfahre hier, warum du besser nicht zu den Nutzern gehörst.
Nun bin ich nicht der erste, dem der Dienst Disqus missfällt. Im Netz existieren zahlreiche Beiträge und dokumentieren Unwohlsein und technische Probleme, aber auch Begeisterung ob der hinzugewonnnene Funktionen. Selbst der englischsprachige Wikipediaeintrag ist angefüllt mit Kritik.
Immerhin behält man seine Daten, allerdings werden sie auf die US-Server gespiegelt. Immerhin hat man so die Chance jederzeit auszusteigen ohne alle Kommentare zu verlieren. Glücklicherweise, denn das heißt: du kannst ohne Verlustängste auch nach Disqus weiterleben.
Ob diese Praxis in Deutschland rechtssicher ist (Stichwort DSGVO), vermag ich nicht zu sagen. Vermutlich ist sie es nicht. Das Problem gibt es in vielfältiger Weise auch anderswo. Meine Kritik gilt auch für ähnliche Plugins wie Livefyre oder IntenseDebate.
Disqus (gesprochen Diskass) ist komfortabler als der Standard den WordPress anbietet. Aber 1. gibt es Plugins, mit denen man gefahrlos nach Geschmack aufrüsten kann (schau dir das kostenlose wpDiscuz an) und zum 2. kriegst du dadurch nicht mehr Kommentare ins Blog. Dieses Märchen wird oft verbreitet. Man hofft aber lediglich, das es so sein möge. Ein paar schicke Features bringen die Leute nicht zum Kommentieren, dazu braucht es mehr.
Nutzer berichten durchaus öfter von Problemen. Die sind meist technischer Art. So ist der eigene Spamfilter immer wieder Anlaß zu Beschwerden. Wenn die falsch spielen, hat man ein Problem. Ohne Eigenes Zutun können die eigenen Leser dann unter Umständen keine Kommentare mehr absetzen.
Wer Disqus verwendet, setzt seine Leser nicht zwingend einer Anmeldung aus. Er kann eine Funktion für das Kommentieren als Gast aktivieren. Allerdings ist man dann Kommentator zweiter Klasse. Gastkommentator klingt je auch ein bisschen nach Gastarbeiter.
Wer Disqus einsetzt, um damit vermeintlich einen Vorteil für sich herauszuholen, vergisst das Gesamtbild. Setzt sich der Dienst durch, dann wirst du zukünftig entweder für die Nutzung auf dem Blog bezahlen oder dort Werbung zulassen müssen. Nachtrag vom 29.04.2018: So ist es auch gekommen. Im „Basic Program“ werden hier und da Anzeigen eingeblendet (es gibt noch eine „free“ genannte Version ohne Komfort, in der es keine Werbung gibt).
Wer das nicht will muss 9 Dollar pro Monat zahlen. Man kann an der Werbung mitverdienen. Wer noch mehr will, leistet sich das Luxus Abo für 89 Dollar pro Monat, dann gibt es Schmankerl wie das sogenannte Shadowbanning.
Anders geht es auch kaum, denn Disqus ist ein Unternehmen und muss Geld erwirtschaften. Und sie tun alles, damit es so kommt. Wir dürfen unsere Macht nicht aus den Händen geben. Denn ist sie erstmal weg, kommt sie nie wieder.
Disqus könnte ein Freemium Modell anbieten, das wäre ehrlichsten. Die Grundversorgung wäre für alle gratis. Wer Extras haben will, der zahlt. Doch diese Variante zieht weniger gut. Schlauer ist es, erst einmal alles zu verschenken, um dann, wenn die Leute sich dran gewöhnt haben, lächelnd das Tuch von den Daumenschrauben zu ziehen, die man sich freiwillig selbst angelegt hat.
Es gibt bereits eine Möglichkeit sich die Kommentarspalte vergolden zu lassen. Reveal heisst der Dienst, ich habe ihn aber bisher nicht in freier Wildbahn wahrgenommen.
Für das Unternehmen lukrativer ist es möglicherweise Daten zu verkaufen. Und welche Daten hätte Disqus da anzubieten? Genau. Da wären zum Beispiel E-Mailadressen. Die müssen Millionen davon haben. Wir sprechen von guten teils mithilfe von Gravatar verifizierte Adressen. Profile legt man als Nutzer freiwillig selbst dort an.
Facebook ist da schon weiter, doch Disqus will auch seinen Teil vom Kuchen. Im Dezember 2016 wurde 20% der Belegschaft entlassen, schreibt Techcrunch, und die Company will ernst machen. Mit Big Data und Werbung. Alles wie erwartet.
Ich kann da nicht mitmachen, wenn ich weiss, dass die E-Mailadressen meiner Leser – soweit sie denn kommentieren – direkt bei einer US-Firma mit möglicherweise einer direkten Schnittstelle zur NSA (Paranoiaalarm ja ja) landen. Eine Firma, die nachgewiesermassen und wenig überraschend kommerzielle Interessen hat. Und die bekommen nicht nur E-Mailadressen, da gehen noch mehr Daten an deren saugfreudige Server.
Nämlich Namen, URLs, Interessen und die natürlich Kommentare selbst. Noch ärger wird das wenn sich ein Nutzer via Facebook bei Disqus einloggt, dann flutscht unbemerkt noch mehr Wissen durch den Äther. Das gilt für alle Kommentare in deinem Blog, auch solche die schon Jahre alt sind.
Die Schnüffler von Disqus sind in der Lage Nutzer über mehrere Websites hinweg verfolgen. Man muss dazu nicht einmal aktiv kommentieren, man ist ja eingeloggt und wird überall da erkannt wo Disqus läuft. Man muss sich das wie eine Wanze vorstellen, die man sich freiwillig selbst angesteckt hat. Klar ist, das Unternehmen wie Disqus die gewonnen Daten verkaufen. Big Data nennt sich das. An wen oder zu welchen Zwecken kann nur gemutmasst werden.
Dieses Abhören, Verfolgen und Ausspionieren hat im Web doch sowieso überhand genommen. Das findet statt unter dem Mantel von Werbung und Personalisierung. Manche Websites, speziell die größerer Medien, sind übelste Schleudern mieser Trackingsoftware. Da werden Daten erhoben bis es raucht. Alles legal, alles über den Browser.
Willst du als Blogger oder Seitenbetreiber da mitmachen, den Datenkraken helfen, deine Leser und Nutzer verkaufen? Muss das sein? Ich finde nein. Disqus und Kollegen sollte deshalb die rote Karte gezeigt werden. Mir kommt sowas nicht ins Blog.
Disqus stört auch noch einmal die ohnehin unter Druck gekommene Linkkultur. Traditionell ist es erlaubt die eigene Website zu einem Kommentar zu verlinken. Das gehört sich unter Bloggern so. Dann weißt man, wer da schreibt.
Nebenbei ist der Link eine kleine Belohnung, denn gelegentlich kommt ein Klick zu stande. Aber nicht mit Disqus, das sich als Mittler auch hier dazwischen klemmt. Verlinkt wird nunmehr nur noch auf das Disqusprofil. So gewinnt die Firma Millionen von Links auf sich selbst und entsprechende Sichtbarkeit. Schlau ausgedacht.
Ein Standard Kommentarsystem reicht völlig. Ein bisschen Komfort bringt niemanden dazu, bei euch etwas hinzuschreiben. Bedenke, wem du deine Daten und die deiner Leser zur Verfügung stellst. Frage dich Folgendes: Sind eure Interessen dieselben?
Ähnliche Systeme
- Muut
- Discourse
- Intense Debate
- Isso
- Kaiju
Noch ein Link zu einem anderen Blog Post: WP Comments behalten oder auf Disqus umsteigen?
Werkstattbericht 🔧
Im Beitragsbild verwende ich die folgenden Google Fonts: Pathway Gothic und Armata. Das Public Domain Foto fand ich bei Pixabay.
mrludwig
Ich verstehe die Aussage und sehe es ähnlich. Wenn allerdings kleine Blogsysteme wie HTMLy eingesetzt werden, hat man nicht die große Wahl. Disquz macht es halt Entwickler sehr einfach, es zu integrieren.
Ich bin mir da selbst nicht im klaren, weil ich bei HTMLy dann eigentlich nur die Wahl habe, gar keine Kommentare mehr zu erlauben – und dass ist gegen meine Blog Mentalität.